Darauf kann man nicht bauen

Kommentar

Die EU plant im Bereich der Asylpolitik sogenannte "Talent-Partnerschaften". Ob Fluchtursachen und die Bedingungen in den Herkunftsländern der Asylsuchenden durch eine Auslese von Arbeitskräften nachhaltig verändert werden, ist zu bezweifeln.

Externalisierung als Fundament des Migrations- und Asylpakets der EU

Wenn die Wohngemeinschaft heillos zerstritten ist, scheint es absurd, dass sie sich ein Haus bauen lässt. Doch genau dieses Bild benutzte Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas bei der Präsentation des sozusagen noch im Feuerschein des abgebrannten Lagers von Moria veröffentlichten Migrations- und Asylpakets der EU (A New Pact on Migration and Asylum).

Demnach bildet die Externalisierung das Fundament des Hauses. Darauf bauen die Sicherung der Außengrenzen und im zweiten Stock die ach so flexibel gewordene „Solidarität“ innerhalb der EU auf. Im Klartext heißt das: Wo die Mitgliedstaaten völlig zerstritten sind – bei der Aufnahme nämlich -, müssen andere ran, um weit vor den Grenzen Europas die Menschen davon abzuhalten, in der Union Schutz oder auch schlicht ihr Glück zu suchen.

Was an Externalisierung kann aber noch verstärkt werden, um dem in der EU-Asylpolitik so zerrütteten Inneren des europäischen Hauses besseren Halt zu geben? Nach vier Jahren blockierter Reform der EU-Asylpolitik während derer statt Verteilung und Aufnahme die „Fluchtursachenbekämpfung“ und vorgelagertes Migrationsmanagement den gemeinsamen Nenner bildeten, scheint kaum noch „Luft nach oben“.

Der Gebrauch von immer neuen Bildern und neuen Begriffen, der in der Mitteilung der Kommission viel Raum einnimmt, soll das scheinbar wettmachen: "Maßgeschneiderte Partnerschaften" mit Nicht-EU-Ländern, heißt es jetzt, sollen den Kampf gegen Schleuser/innen und die Rücknahme abgelehnter Asylbewerber/innen erleichtern. Einen Anreiz dafür sollen neue Regeln für die legale Migration bieten. Die Kommission will dazu unter anderem "Talent-Partnerschaften" einführen, um gezielt von europäischen Unternehmen benötigte Arbeitskräfte in die EU zu holen. Das wird ihr allenfalls in einem Ausmaß gelingen, dass man - wie schon bei den „Mobilpartnerschaften“ der Vergangenheit – getrost von Makulatur sprechen darf.

Die Bereitschaft, irreguläre Migration nach Europa zu unterbinden, wird mit Geld oder auch Visafreiheiten belohnt, die Weigerung sanktioniert. Gegenüber „Problemfällen“ (also nicht-kooperierenden Drittstaaten) wird der Einsatz der Entwicklungs- oder auch Handelspolitik als Sanktionsmittel erwogen. Zudem sollen die Regierungen der Herkunftsländer irregulär nach Europa eingereiste Migrant/innen, die keinen Anspruch auf Asyl oder subsidiären Schutz haben, zurücknehmen. Viele dieser Regierungen haben aber kein originäres Interesse, Migrant/innen zurückzunehmen. Das ist durchaus verständlich. Denn viele Familien sind auf die Rücküberweisungen der Migrant/innen existenziell angewiesen. Das Gesamtvolumen dieser Rücküberweisungen ist in der Regel höher als die Entwicklungshilfe und die ausländischen Direktinvestitionen zusammengenommen. Zudem haben Regierungen den zwangsweise rückgeführten Migrant/innen nichts anzubieten: keine Arbeit, keine Perspektive. Und selbst wenn es mittels der „Fluchtursachenbekämpfung“ gelänge, in bestimmten Ländern die Armut wirksam zu lindern, würde dies nicht unbedingt zu einem Rückgang der Migration führen, sondern diese möglicherweise eher noch verstärken, weil dann mehr Menschen die Mittel aufbrächten, um Grenzbeamt/innen zu bestechen sowie Bustickets und Schleuser/innen zu bezahlen.

"Return sponsorships"

Seit dem Migrationsgipfel von Valletta, bei dem es um Externalisierung des Grenzregimes ging, sind eine ganze Reihe von Mechanismen in Gang gesetzt, Instrumente entwickelt und die Finanzierung vereinbart worden. Bis heute funktioniert das Ganze aber noch nicht wie gewünscht: Abschottung mag die Migration reduzieren. Menschen begeben sich aber weiterhin auf den Weg nach Europa und dann eben auf neuen, noch gefährlicheren oder kostspieligeren Routen. Die EU und die Mitgliedsstaaten bewegten sich spätestens seit 2015 immer mehr von einer Externalisierung der Migrationskontrolle zu einer Externalisierung der Schutzverpflichtungen. Europa verlagert das „Problem“ auf Transitländer, die längst Aufnahmeländer sind. Die Türkei etwa beherbergt 2,9 Millionen Flüchtlinge (vor allem aus Syrien) und Migrant/innen. Rückübernahmeabkommen sollen die Herkunftsländer selbst in die Pflicht nehmen. Unzählige solcher Abkommen sind bilateral und mit der EU auf informelle Art (rechtlich oft nicht abgesichert) entstanden und werden doch in vielen Einzelfällen nicht implementiert. Daran werden auch die jetzt vorgeschlagenen Rückkehrpatenschaften („return sponsorships“) nichts ändern, die den EU-Mitgliedstaaten angeboten werden, die sich einer Aufnahme von Flüchtlingen und Migrant/innen verweigern. So soll es demnächst Ungarn oder Polen anheimgestellt sein, den Herkunftsländern mehr Druck zu machen, damit sie dabei kooperieren und ihre an den Außengrenzen Europas abgeschobenen Staatsbürger/innen wiederaufnehmen?

Migration aber gilt es nicht zu stoppen, sondern zu gestalten. Solange in vielen Herkunftsländern Bedürfnisse nach staatlicher Versorgungsleistungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Nahrung sowie Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit weitgehend missachtet werden, wird Migration auch wegen der prognostizierten Bevölkerungsentwicklung weltweit steigen. Auch die Wanderungsbewegungen zwischen Entwicklungsländern werden damit zunehmen.

Der Krisenmodus der letzten Jahre hat in vielen europäischen Ländern jedoch dazu geführt, dass das anfängliche Bemühen um migrationspolitische Reformen und wirkungsvolle Steuerung von Zuwanderung verpuffte. Heute geht es der (Wohn-) Gemeinschaft darum, die irreguläre Zuwanderung zu reduzieren und die Rückkehr von Migrant/innen zu „effektivieren“.

Fundament einer (wertegetragenen) realistischen und zukunftsweisenden europäischen Migrationspolitik hingegen sollte es sein, auf der Grundlage der Genfer Konvention Schutz zu gewähren. Reguläre Migration wäre so zu begünstigen, dass dabei die Interessen aller drei „Beteiligten“ (Herkunftsland, Aufnahmeland und Migrant/in selbst) so zu verhandeln, dass alle gewinnen können. Das ist kein leichtes Unterfangen und müsste mit ernst gemeinten und offenen Dialogen mit Vertretern der Herkunftsländer beginnen. Vor allem aber braucht es politischen Willen – auch den, eine solche Politik besser in die eigene Bevölkerung zu vermitteln. Vielleicht werden dann auch die Stockwerke des Gemeinschaftshauses mit Leben gefüllt.